Hustle Culture — Eine persönliche Meinung zu Motivationssprüchen und dem Work-hard-Play-hard Gedanken
In unseren Artikeln behandeln wir Digitalisierung, Gründungen und Innovationen in Oberfranken. Wir treffen dabei auf Geschichten von spannenden Menschen, die die Region wirtschaftlich, strukturell und gesellschaftlich weiterbringen. Das empfinden wir als Bereicherung und sprechen unseren Respekt an alle Gründer*innen in Bamberg, Coburg, Hof und Co. aus.
Zu gründen ist aber nicht für alle Menschen gleich gut möglich. Dieser Artikel nimmt eine Perspektive ein, die weg von smarten Startups und hin zu Menschen geht, für die es schwieriger ist, eine erfolgreiche Gründungsgeschichte zu schreiben.
Auf TikTok ist es gerade „That Girl“, das mich inspirieren soll. „That Girl“ gehört zu einem Trend, bei dem vor allem normschöne weiße Frauen in kurzen Videos ihre Morgen- oder Tagesroutine vorstellen. Meist dabei: Schlafzimmer mit weißer Bettwäsche und sanftem Morgenlicht, das sich in der Kamera spiegelt, ein spinatgrüner Smoothie und ein Workout, oft mit der Empfehlung dieses 4-5 Mal pro Woche durchzuführen. Wichtig ist in den Videos auch immer, früh aufzustehen, damit man den Tag möglichst effizient nutzen kann.
Was mich an den Videos aber stört, ist, dass sie mir suggerieren, dass es nur eine richtige Art zu leben gibt: Immer möglichst gesund und diszipliniert und eben auch weiß und hübsch. In Experimenten wurde herausgefunden, dass der Algorithmus von TikTok in der Vergangenheit immer wieder Menschen bevorzugt hat, die normschön, weiß und heterosexuell sind. Diese Menschen, dienen mit ihrer Lebensweise dann uns allen als Vorbild.
Auf Instagram findet man viele Motivationsseiten zur Hustle Culture/ Work-hard-play-hard-Mentalität, die sich mit dem Thema Unternehmen gründen/ selbstständige Arbeit oder Selbstoptimierung auseinandersetzen, oft steht das eine mit dem Anderen in direkter Verbindung. Als Hustle Culture wird die vollkommene Fokussierung von Menschen auf ihre Lohnarbeit und die dabei erbrachte Leistung gesehen, während andere Lebensbereiche vernachlässigt werden.
Eine Seite mit über 16.000 Follower*innen titelt so beispielsweise in einem Post „Get up Bro. Otherwise your comfort zone will kill you“.
Hustle Culture übt Druck auf die individuelle Lebensführung aus
Wie in den Videos zur Morgenroutine wird hier das Ideal gezeigt, möglichst produktiv sein zu müssen. Damit gehen einher: Geld, Unabhängigkeit und frei in seinen Entscheidungen zu sein. Klingt erstmal erstrebenswert.
Ich fühle mich aber von der Hustle Culture unter Druck gesetzt. Mir suggerieren solche Videos und Posts, dass ich mal dringend an mir arbeiten müsste, sportlicher, schlanker, schöner sein und mich bitte nicht so anstellen soll, wenn ich nach sieben Stunden arbeiten ausgelaugt bin, weil, dann werde ich es nie zu etwas bringen.
Jetzt könnte man berechtigterweise fragen: Was stört mich daran, dass Frauen ihre Morgenroutine im Internet vorstellen?
Videos auf Social Media suggerieren oft, dass es nur eine richtige Art zu leben gibt
Erstmal: Gegen die Frauen, die diese Videos machen, habe ich persönlich wenig. Ich finde es schwierig, andere Frauen dafür zu kritisieren was sie tun oder lassen, solange sie nicht aktiv jemandem damit schaden, denn wem so eine Routine Spaß macht, der soll sie einhalten. So weit von dem Ideal bin ich mit meinen morgendlichen Proteinshakes und meiner ebenfalls weißen Bettwäsche teilweise gar nicht entfernt.
Meine Kritik an der Hustle Culture hat aber nicht nur etwas mit dem Druck auf meine individuelle Lebensführung zu tun. Auf einer anderen Instagram-Motivations-Seite findet man einen Post, der titelt „Triff die Entscheidungen, die ein reicher Mensch treffen würde!“. In der Caption zum Post steht dann unter anderem der Satz „Reichtum ist eine Entscheidung“.
Man hört zwar immer wieder Stories von Menschen, die sich von ganz unten nach ganz oben gearbeitet haben. Dass das möglich ist, ist aber die Ausnahme. In Deutschland dauert es durchschnittlich sechs Generationen, um sich von Armutsbedrohung zum Durchschnittseinkommen hochzuarbeiten, wie eine Studie der OECD zeigt.
Männlich und weiß zu sein ist ein Privileg
Ein weiteres Privileg ist, sich als männlich, weiß und cis zu identifizieren. Frauen sind in Führungspositionen unterrepräsentiert, nur 11,9 Prozent der Startups wurden 2021 von Frauen gegründet. Hier führt die gesellschaftliche Realität dazu, dass Frauen es in Führungspositionen schwerer haben.
In der Soziologie gibt es das Homophilieprinzip, das besagt, dass Menschen Leute mit Eigenschaften und Attributen präferieren, die ihnen selbst ähnlich sind.
Eine historische Konsequenz der Industrialisierung war, dass Mägde und Angestellte bürgerlicher Familien diese vermehrt verließen, um in Fabriken zu arbeiteten, um nicht mehr vollkommen abhängig von bürgerlichen Familien zu sein. Als Folge dessen übernahmen Ehefrauen zuhause unbezahlte Care-Arbeit, es befanden sich mehr Männer in bezahlten Berufen und auch speziell in Führungsebenen. Das Homophilieprinzip könnte eine Erklärung dafür sein, dass es weiße Männer immer noch am einfachsten auf dem Arbeitsmarkt, speziell in Führungspositionen, haben. Für Frauen und andere Minoritäten ist es schwer gleichauf zu ziehen, weil ihre Attribute denen von Männern nicht genug ähneln, um unbewusste Auswahlkriterien von Männern in Führungspositionen zu erfüllen.
Eine kürzlich erschienene Studie hat außerdem gezeigt, dass Frauen seltener Kredite bekommen als Männer und diese im Durchschnitt niedriger sind. Begründet wird das durch das geringere Gehalt von Frauen. Brauche ich zum Gründen finanzielle Unterstützung, kann das ambitionierte Gründerinnen vor ein Problem stellen. Auf Motivationsposts auf Instagram wird das aber oft außer Sicht gelassen.
Frauen sind Männern benachteiligt, auch BIPoc erleben Benachteiligungen auf dem Arbeitsmarkt, wie beispielsweise eine Studie zu den Arbeitsmarktchancen von Menschen mit äthiopischer Migrationsgeschichte zeigt. Besonders mühselig wird es dann, wenn Menschen gleichzeitig durch verschiedene Attribute benachteiligt werden, beispielsweise als weiblich gelesen werden und Schwarz sind.
Motivationssprüche gehen an der Lebensrealität vieler Menschen vorbei
Die individuelle Entscheidung zum erfolgreich sein reicht dann folglich nicht aus, um reich zu werden.
Zu sagen, jemand solle doch einfach wie „That Girl“ sein oder sich ein bisschen mehr anstrengen, ist also eine Sichtweise, die an der Lebensrealität und den gesellschaftlichen Umständen vieler vorbeigeht.
Wenn diese Sprüche und Videos jemanden glücklich machen, ist das nichts Verwerfliches und kann Menschen dabei helfen, sich zu motivieren. Meiner Meinung nach sollte der Blick aber auch hin zu anderen Lebensrealitäten gehen und mehr Bewusstheit dafür verbreitet werden, dass der Grund für eine Erfolgsgeschichte eben nicht nur das Mindset ist.
Schön wäre es doch, wenn man sich auch beim Gründen gegenseitig unterstützt, Ressourcen, Wissen und Netzwerk mit anderen teilt – gerade mit denen, die vielleicht ein paar mehr Steine aus dem Weg räumen müssen. Vom Miteinbeziehen neuer Sichtweisen würden am Ende alle profitieren.