29.06.2021Wissenschaft

Moderne Antworten auf historische Fragen – Digitale Geschichtswissenschaft in Bamberg

Foto: www.soundtoll.nl

Die Digitalisierung macht auch vor der Wissenschaft keinen Halt. Seit Januar gibt es an der Universität Bamberg eine neue Professur für Digitale Geschichtswissenschaften, die sich auf die Digitalisierung historischer Quellen und die Entwicklung intelligenter Softwarelösungen spezialisiert. Wir haben mit dem Professor Werner Scheltjens über seine Forschungsprojekte, Chancen und Herausforderungen der digitalisierten Wissenschaften gesprochen und darüber sinniert, was das Ganze mit Spotify-Algorithmen zu tun hat.

Forschung mit regionalem Bezug

Register, Manuskripte und alte Briefe. Als Subdisziplin der GeschichtswissenschafProf. Werner Scheltjens hat die erste Professur zu Digitalen Geschichtswissenschaften in ganz Bayern inne. Foto: Benjamin HergesProf. Werner Scheltjens hat die erste Professur zu Digitalen Geschichtswissenschaften in ganz Bayern inne. Foto: Benjamin Hergest beschäftigt sich die neue Bamberger Professur vor allem mit der Erschließung und Auswertung von großen Textbeständen, die in umfassenden Projekten zu großen historischen Datenbanken zusammengeführt werden. Bei der Arbeit an solchen Sammlungen wird oftmals die Bevölkerung miteingebunden, um möglichst effektiv eine breite Grundlage für weitere Forschung aufzubauen.

So arbeitete Prof. Scheltjens in seiner Forschung zum Sundzollregister, einer Aufzeichnung von Zollabgaben, die ausländische Schiffe zwischen 1426 und 1857 in Dänemark zahlen mussten, mit Freiwilligen vor Ort, die bei der Digitalisierung der Daten halfen. So konnte das Ziel einer digitalen Datenbank, die alle Eintragungen geordnet und schnell einsehbar aufführt, überhaupt erst realisiert werden.

Vom Pergament zum Desktop

Um solche Projekte durchführbar zu machen, ist die Arbeit mit automatischer Texterkennung durch OCR-Software (Optical Character Recognition) unerlässlich. Hierbei handelt es sich um Programme wie Transkribus von der Universität Innsbruck, die handgeschriebene, teils nur mühevoll zu entziffernde Texte immer besser automatisch erkennen und in ein digitales Format übersetzen. Da solche Applikationen mit künstlicher Intelligenz arbeiten, werden sie mit jeder Anwendung präziser. Neue Texte, die ausgelesen werden, funktionieren somit wie Trainingsdaten und führen zu immer besseren Ergebnissen. „Dann muss man eigentlich nichts mehr selber eintippen und erschließen. Das wird dann zumindest teilweise automatisch gemacht“, so Prof. Scheltjens.

Die dadurch entstehenden digitalen Archive sind unerlässlich für zukünftige, breit angelegte Forschungsprojekte. Eine Datenbank, die Werner Scheltjens für die Region erstellen möchte, soll den Warenverkehr der Mainschifffahrt erfassen, der Aufschluss über Bambergs Rolle im europäischen Handel in der vorindustriellen Zeit liefern könnte. Mit einer elektronischen Ressource ließe sich in Zukunft auch das Problem vermeiden, dass Archive derzeit aufgrund von aktuellen Hygieneauflagen nur schwer zugänglich oder ganz geschlossen sind. So könnte orts- und zeitunabhängige Forschung an bestimmten Quellen ermöglicht werden.

Risiken und Chancen von digitalen Methoden

Die digitale Verfügbarkeit mancher Datenbanken birgt jedoch auch gewisse Risiken. Schon jetzt zitieren Studierende in Hausarbeiten vor allem und teils ausschließlich aus digitalisierten Quellen. Dass dabei analoge Quellen, die nach wie vor die überherrschende Mehrheit bilden, vernachlässigt werden, ist nicht unwahrscheinlich. Zudem führt der algorithmische Aufbau digitaler Archive dazu, dass Dokumente, die besonders häufig angefragt oder benutzt werden, auf der Plattform sichtbarer sind ähnlich wie die Hervorhebung neuer Musik von Künstler*innen mit besonders hoher Reichweite auf Streamingdiensten wie Spotify. Prof. Scheltjens nennt dieses Phänomen die „Hybridität der Forschung“ und verweist darauf, wie wichtig es ist, Studierende genau dafür zu sensibilisieren, um nach wie vor ausgewogene, akademische Arbeit zu leisten.

Im Großen und Ganzen wird in unserem Gespräch jedoch schnell deutlich, dass die Vorteile digitaler Ansätze in der Geschichtswissenschaft jedoch klar überwiegen. Der Einzug der Digitalisierung wird vor allem nicht abebben, sondern in Zukunft eher noch an Fahrt gewinnen. Daher sieht Prof. Scheltjens den Umgang mit modernen Datenbanken als eine Schlüsselqualifikation für neue Generationen an Historiker*innnen. „Man muss mindestens von XML gehört haben, aber auch andere Programmiersprachen werden häufiger und häufiger gefragt. Zumindest eine Ahnung sollte man haben. Dann ist man besser aufgestellt, um sich zu bewerben“, sagt er auf die Frage nach Chancen von Bewerber*innen ohne Vorerfahrung in dem Bereich.

Mit der Einrichtung einer eigenen Professur für genau dieses Feld ermöglicht die Uni Bamberg ihren Studierenden, sich zukunftsgerichtet auszubilden. Mehr Informationen zum Angebot der Digitalen Geschichtswissenschaften findet ihr hier.

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